Interkultureller Kontakt
Phänomene des interkulturellen Kontaktes lassen sich sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart für den spanischen Raum beobachten. Im Mittelalter stellte das Zusammenleben von christlichen, jüdischen und muslimischen Gruppen auf der Iberischen Halbinsel über Jahrhunderte eine einzigartige interkulturelle Situation dar, die mit dem Schlagwort der conviencia beschrieben und deren Charakter bis in die Gegenwart kontrovers diskutiert wird. Gerade dieses Beispiel zeigt, inwiefern Kulturkontakt gleichzeitig sowohl von produktiven kulturellen Austauschbeziehungen und gegenseitiger Toleranz wie auch durch wesentliche politische, ökonomische und soziale Machtasymmetrien gekennzeichnet ist. Im 20. Jahrhundert beschreiben die Exilbewegungen spanischer Intellektueller und Künstler*innen nach dem Spanischen Bürgerkrieg insbesondere nach Frankreich und Lateinamerika, aber auch etwa in Länder wie Marokko, eine Migrationsroute, die wesentliche Effekte auch in den Kulturen der Aufnahmeländer hinterlassen hat.
In der Gegenwart hingegen zeichnet sich eine umgekehrte Migrationsbewegung ab: Spanien stellt inzwischen eines der wichtigsten Einwanderungsländer in Europa dar und ist Ziel vor allem für Migrant*innen aus lateinamerikanischen sowie nordafrikanischen und subsaharischen Ländern, was sich entsprechend ebenfalls in der gegenwärtigen Kunst, Literatur, Musik und audiovisuellen Medien niederschlägt. Schließlich zeichnet sich Spanien durch eine Vielfalt regionaler Identitäten aus, welche sich u.a. in der herausgehobenen Bedeutung der autonomen Regionen Katalonien, Galizien und dem Baskenland mit ihren eigenen Sprachen, Literaturen und kulturellen Traditionen zeigt.
Lateinamerika ist in gewisser Weise der geradezu „klassische“ Kontinent des interkulturellen Kontakts. Historisch lassen sich vor allem drei große Kulturkontaktzonen unterscheiden, die zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlicher Weise prägend werden.
Schon im 16. Jahrhundert beginnt der Einfluss „schwarzer“ Kulturen durch die Verschleppung von Sklaven aus Afrika, vor allem in die Karibik. In diesem Zusammenhang ist vor allem die ökonomische Form der Plantage und der so genannten Plantagengesellschaft prägend (am prototypischsten in der Zuckerrohrkultur als einem höchst arbeitsintensiven und extrem profitbringenden Produkt, das in kürzester Zeit unter harten Bedingungen verarbeitet werden muss, bevor es verdirbt und wertlos wird); partiell kommt die Arbeit in Bergwerkszonen hinzu. Die Kontaktzone Schwarz vs. Weiß, koloniale Kultur liegt daher vor allem in der Karibik (exemplarisch Kuba), aber auch (in kleinerem Maße) in Peru und Kolumbien.
Dieser Gesichtspunkt ethnisch geprägten Kulturkontakts skizziert nur ein bereits oberflächlich erkennbares Phänomen kultureller Analyse. Der „afrocubanismo“ der zwanziger bis vierziger Jahre in der Literatur mit verspäteten Ausläufern in der Musik bis heute, der „indigenismo“ in den Andenländern, der italienische Einfluss auf das Theater und den Film Argentiniens und Uruguays sind nur einige Phänomene, die sich aus der Konstellation ergeben.
Spanien-/Lateinamerikastudien
Im Bereich der interkulturellen Spanienstudien geht es u.a. um die Auseinandersetzung mit Identität und Alterität, Migrationsbewegungen und Kulturkontakt, gesellschaftlicher Pluralität und Diversität aus historischer wie gegenwärtiger Perspektive, angefangen bei der Analyse des Zusammenlebens der drei Kulturen im Mittelalter und der andauernden politischen Debatten darum bis in die Gegenwart bis zu den engen transatlantischen Kulturverbindungen zwischen Spanien und den lateinamerikanischen Ländern, sichtbar etwa in Gesellschaft, Wirtschaft oder Popkultur.
Interkulturelle Lateinamerikastudien müssen intensiv nach der Frage des „eigenen“ kulturellen Anteils bzw. der Übernahme und Adaptation europäischer und anderer Modelle fragen (spezifische kulturelle Identität, zusätzlich in der Ausprägung nationalstaatlicher versus kontinentaler Ausprägung: „mexicanidad“ oder „argentinidad“ versus „latinoamericanidad“). Dies wird in unterschiedlichen Analysefeldern zu lernen und zu lehren sein, von den Chronikliteraturen des 16. Jahrhunderts („Zusammenstoß“ von Kulturen) bis hin zu den zeitgenössischen Auseinandersetzungen mit kulturellen, ethnischen und sprachlichen Differenzen.
Konzept und Studieninhalte
Den Spanien-/Lateinamerikastudien liegt ein kulturwissenschaftliches und kulturhistorisches Konzept zugrunde, das globale Veränderungsprozesse im wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Bereich berücksichtigt. Arbeitsgrundlage einer Auseinandersetzung mit dem spanischsprachigen Kulturraum sind vor allem Texte. Im umfassenden Sinn bedeutet dies nicht nur klassische Textsorten wie Verfassungstexte, historische Darstellungen, journalistische Artikel etc., sondern auch literarische Werke, Bildmaterial, Filme, Lieder, Werbung, Bauwerke, Karikaturen, symbolische Repräsentationen, Zeitverständnis und Zeitmessverfahren und Alltagsgegenstände wie Möbel, Kleidung oder Verkehrsmittel. Kultur wird als kollektiv hervorgebrachte und historisch geformte Lebenspraxis verstanden, die in den verschiedensten symbolischen und objektivierten Ausprägungen Ausdruck findet.
Das Studium soll methodisch-analytische Fähigkeiten vermitteln, die ein Verstehen der Kultur(en) der Zielsprachenländer fördern und eine vertiefte Analyse historischer Prozesse sowie der politischen und gesellschaftlichen Problemlagen der Gegenwart ermöglichen. Mit Ausnahme des einführenden Seminars (Basismodul) sind die seminaristischen Lehrveranstaltungen an engeren Einzelthemen orientiert und greifen kulturgeschichtliche Sachverhalte exemplarisch auf. Im Zusammenhang mit der Erarbeitung inhaltlicher Fragen erfolgt die Thematisierung unterschiedlicher Theorien und Methoden der Kulturstudien.
Bachelor
Die Bachelor-Module dienen dem Grundlagenerwerb des Wissens in Kulturtheorie, Kulturgeschichte und Gegenwartsfragen. Hauptaugenmerk liegt auf der Analyse exemplarisch historischer Gegenstände und aktueller Entwicklungen unter besonderer Beachtung von Wahrnehmungsmustern. Betrachtet werden sprachliche, mediale und räumliche Kommunikationsformen, die Art und Weise, wie Ereignisse und Erfahrungen Eingang in das kollektive Gedächtnis finden, und die Entstehung mentaler Dispositionen (z.B. Selbst- und Fremdbilder, Stereotype).
Die Module in den Spanien-/Lateinamerikastudien zielen vor allem auf
- Erweiterte exemplarische Kenntnisse kulturgeschichtlicher Entwicklungen in Latein- (Mittel- und Süd-) Amerika, Karibik, Spanien (fallweise auch Brasilien/Portugal) und anderen spanisch-sprachigen Räumen.
- Erfassen von Kontinuitäten und Diskontinuitäten einzelner Problemstellungen im internationalen und im Epochenvergleich.
- Erwerb von Orientierungswissen über die politischen und sozialen Strukturen und Denkweisen lateinamerikanischer Kulturen und Gesellschaften der Gegenwart in interkultureller Perspektive.
- Vertiefende exemplarische Auseinandersetzungen mit Gegenständen, Fragestellungen, Theorien und Methoden lateinamerikanischer Geschichte und Kultur.
- Betrachtung der Konstruktion von Geschlecht, Ethnizität und Nationalität in synchroner und diachroner interkultureller Perspektive.
- Vermittlung exemplarischer Kenntnisse über ausgewählte Phänomene der Gegenwartsgesellschaft.
- Interkulturelle Erforschung von Erinnerungsräumen als Bestandteile des Inhalts- und Zeichenrepertoires für die Selbst- und Fremdrepräsentationen in spanischsprachigen Kulturen.
- Aktuelle Literatur- und Sprachkulturdebatten des spanischen und lateinamerikanischen Kulturraums in seinen transkulturellen Vernetzungen und historischen Zusammenhängen.
Weitere Informationen entnehmen Studierende und Studienbewerberinnen und Studienbewerber bitte der Website des Instituts für Romanistik und den Dokumenten unter dem Reiter Downloads.
Master
Die Master-Module dienen der Vertiefung des Wissens in Kulturtheorie, Kulturgeschichte und Gegenwartsfragen. Hauptaugenmerk liegt auf der Analyse exemplarisch historischer Gegenstände und aktueller Entwicklungen unter besonderer Beachtung von Wahrnehmungsmustern. Betrachtet werden sprachliche, textuelle und symbolische Kommunikationsformen, die Art und Weise, wie Ereignisse und Erfahrungen Eingang in das kollektive Gedächtnis (M. Halbwachs) finden und die Entstehung mentaler Dispositionen (z.B. Selbst- und Fremdbilder, Stereotype). Zudem bilden postkoloniale und postmoderne Theorien, Dissens-Kulturen und ökologische Ansätze Ausgangspunkte für kulturwissenschaftliche Untersuchungen.
Die Module in den Lateinamerikastudien zielen vor allem auf
- Erwerb vertiefter exemplarischer Kenntnisse kulturgeschichtlicher Entwicklungen in Latein- (Mittel- und Süd-) Amerika, Spanien (fallweise auch Brasilien/Portugal) und anderen spanischsprachigen Räumen.
- Erfassen von Kontinuitäten und Diskontinuitäten einzelner Problemstellungen im internationalen und Epochenvergleich.
- Erweiterte Kenntnisse über die nationalen, politischen und sozialen Traditionen und Denkweisen ausgewählter spanischsprachiger Kulturräume und Gesellschaften in interkultureller Perspektive.
- Vertiefte Kenntnisse zu transnationalen kulturellen Verflechtungen.
- Vertiefte Kenntnis institutioneller, politischer und soziokultureller Kontexte von spanischen und lateinamerikanischen Medienlandschaften in Vergangenheit und Gegenwart.
- Vertiefte Kenntnis zentraler Bestandteile des Inhalts- und Zeichenrepertoires, die in spanischsprachigen Kulturräumen als Selbstzuschreibung und/oder als Fremdbilder zirkulieren.
- Vertiefte Kenntnis der Verknüpfungen spezifischer Kulturräume inklusive deren kultureller Praktiken und institutionellen Strukturen.
Weitere Informationen entnehmen Studierende und Studienbewerberinnen und Studienbewerber bitte der Website des Instituts für Romanistik und den Dokumenten unter dem Reiter Downloads.
Auslandsaufenthalt
Ein Auslandsaufenthalt in einem spanischsprachigen Land wird im Rahmen der Spanien-/Lateinamerikastudien dringend empfohlen, z.B. in Form eines Praktikums oder eines Auslandsstudiums. Es bestehen Kontakte und Verträge zu verschiedenen Universitäten in Spanien und Lateinamerika. Diese ermöglichen und erleichtern Hispanistik-Studierenden aus Halle Studienaufenthalte an den folgenden Universitäten:
Universidad de La Plata (Argentinien)
Universidad de Lima (Peru)
Universidad de La Habana (Kuba)
Universidad Nacional de Colombia (Bogotà, Kolumbien)
Universidad del Atlántico (Barranquilla, Kolumbien)
Universidad de Extremadura (Badajoz, Spanien)
Universitat de Barcelona (Spanien)
Universidad de Sevilla (Spanien)
Universidad de La Laguna (Teneriffa, Spanien)
Universidad de Vigo (Spanien)
Nähere Informationen erhalten Sie bei Prof. Dr. Jenny Haase (Kolumbien und Peru), Daniel Santana Jügler (Spanien und Kuba), sowie bei PD Dr. Steve Pagel (Argentinien).